Polytrauma
In diesem Artikel
Intensivtherapie nach Polytrauma
- Ersteinschätzung nach xABCD-Schema
- Standardlaboraufnahme inklusive erweiterter Gerinnungsdiagnostik
- Überprüfung und ggf. Nachkreuzen von Blutprodukten
- Übergabe mit Fokus auf Verletzungsmuster und bisher durchgeführten Interventionen
- Initialbehandlung
- Hämodynamische Stabilisierung
- Wärmeerhalt/Wiedererwärmung
- Untersuchung mit Fokus auf bisher nicht erkannte Verletzungen (Tertiäruntersuchung)
- Körperliche Untersuchung
- Re-Evaluation der initialen Bildgebung
- Schädelhirntrauma
- es gelten die Therapieprinzipien der SHT Behandlung
- nach relevantem SHT Re-CT 6h nach Ereignis erwägen
- ICP-Messung bei Patienten mit schwerem SHT erwägen (GCS 3-8mmHg), insbesondere wenn nicht neurologisch beurteilbar.
- Thoraxtrauma
- Röntgenlagekontrolle von Drainagen
- Echokardiographie bei V.a. Contusio Cordis durchführen
- Bei schwerer Lungenkontusion gelten die Prinzipien der ARDS Behandlung
- Bei instabiler Brustwand (Beurteilung in Spontanatmung) operative Stabilisierung erwägen
- Abdominaltrauma
- Sonographische Verlaufsbeurteilung bei Abdominaltrauma durchführen.
- Bei hohem Risiko für Mesenterialischämie ggf. CT-Verlaufskontrolle nach 6-24h
- Extremitätentrauma
- engmaschige Kontrolle auf Kompartmentsyndrom
- Sofern nicht bereits erfolgt, mgl. frühzeitige Versorgung von Frakturen der langen Röhrenknochen und Beckenverletzungen
- Interdisziplinäre Planung der weiteren operativen Versorgung
- Innerhalb von 24h Beginn der Thromboseprophylaxe erwägen
Allgemeines
Das Polytrauma ist definiert als eine Mehrfachverletzung, wobei eine der Verletzung oder ihre Kombination lebensbedrohlich ist. Der Schweregrad kann beispielsweise durch den Injury Severity Score (ISS) bestimmt werden. Ein Patient mit ISS ≥16 gilt als Schwerverletzter bzw. Polytrauma. Die häufigsten Verletzungen treten im Bereich Kopf, Thorax und Extremitäten auf. Die 30-Tage Letalität aller im Traumaregister der DGU erfassten Patienten beträgt ca. 12,5%.
Thoraxtrauma
Die Indikation zur operativen Brustwandstabilisierung kann in den ersten 3-7 Tagen erwogen werden – insbesondere bei:
- Rippenserienfrakturen ≥ 3 Rippen mit Dislokation größer als Schaftbreite
- Rippenserienfraktur mit anderweitiger Indikation zur thoraxchirurgischen Versorgung
- Instabiler Thoraxwand mit paradoxer Atmung
Abdominaltrauma
Bei ca. 20-30% der polytraumatisierten Patienten liegt ein stumpfes Bauchtrauma vor. Am häufigsten betroffenen sind Milz und Leber gefolgt von Darm und Pankreas. Die Verletzungen solider Bauchorgane werden CT-morphologisch nach AAST in die Grade I-V eingeteilt. Die WSES Klassifikation (I-IV) klassifiziert zusätzlich nach hämodynamischer Stabilität. Hämodynamisch instabile Patienten mit sonographischem V.a. freie Flüssigkeit werden umgehend laparotomiert. Bei hämodynamischer Stabilität können bis zu 80% der intraabd. Organverletzungen (Leber/Milz, meist bis AAST Grad III) nicht-operativ (NOM/non operative Management) versorgt werden. Bei aktivem Kontrastmittel-Austritt und hämodyn. Stabilität Versuch der angiographischen Blutungskontrolle.. Bei CT-morphologischen Verletzungen von Milz und Leber ohne KM-Austritt erfolgt eine 24-48h Überwachung mit wiederholter Abdomensonographie (FAST). Typische Komplikationen nach NOM bei Leberverletzungen sind biliäre und infektiologische Komplikationen (Galleleck, Thrombosen, Abszessbildung). Nach Splenektomie frühestens 14 Tage post-OP gegen S. pneumonie, N. meningitidis und S. pneumoniae Impfung um ein OPSI zu verhindern. Bei Pankreasverletzungen mit Hinweis auf Gangverletzungen (ab Grad III) ist häufig eine chirurgische Exploration sinnvoll. Bei hohen Lipase-/Amylasewerten und CT-morphologischem Verdacht auf Pankreasverletzung daher MCRP zur Diagnostik anstreben.
Kompartmentsyndrom
Unter einem Kompartmentsyndrom versteht man den Anstieg des Gewebedruckes innerhalb fazialer Muskellogen durch traumatische Schwellung oder Ischämie. Durch den Druckanstieg kommt es zu einer Störung der Mikrozirkulation mit Minderdurchblutung des Muskels. Gefährdet sind insbesondere Unterschenkel, Unterarm und Fuß. Die Diagnosestellung ist schwierig. Bei wachen Patienten sind insbesondere starke Schmerzen auf passive Dehnung hinweisgebend. Beim sedierten Patienten besteht eine hohe Gefahr das Kompartmentsyndrom zu übersehen. Engmaschige Kontrolle Schwellung/Spannung der Extremität im Seitenvergleich. Im Zweifelsfall muss eine Kompartmentdruckmessung erfolgen. Ein Kompartmentdruck > 40mmHg gilt als kritischer Schwellenwert. Möglicherweise noch besser geeignet ist die Differenz aus diastolischem Blutdruck und Gewebedruck. Bei Differenzen < 30mmHg ist von einem sistieren der Mikrozirkulation auszugehen. Vorhandene Pulse / Gute Rekapillarisierungszeit schließen ein Kompartmentsyndrom nicht aus, und sind auch bei hohen Logendrücken häufig vorhanden. Das Kompartmentsyndrom ist ein Notfall daher unverzügliche Faszienspaltung anstreben. Entfernung von komprimierenden Verbänden/Gips! Insbesondere das Kompartmentsyndrom der distalen Extremitäten (Hand/Fuss) sowie der Glutealregion wird beim kritisch erkrankten Patienten häufig übersehen.
Siehe auch: S3 Leitlinie ICU nach Polytrauma